Wie die beiden großen Marktforschungsinstitute arbeiten, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität getroffen werden, wie sich die Märkte entwickeln und welche Erkenntnisse gewonnen werden, diskutierten Mag. Sigrid Göttlich (l.), Commercial Director bei Nielsen Österreich, und Dr. Amata Ring (r.), Consumer Panel & Services Senior Manager bei GfK Austria, mit CASH.
GfK befragt also die Konsumenten, wer gehört alles zum Nielsen-Universum?Göttlich: Dazu gehören alle Händler im Lebensmittel- und Drogeriefachhandel, wo wir in Österreich mit allen Marktteilnehmern außer Lidl eine Kooperation haben. Wir erhalten von einem Großteil alle EANS pro Woche pro Standort die über die Kasse gezogen worden sind. Ein kleiner Teil basiert noch auf Stichprobe und Hochrechnung. Fachgeschäfte wie etwa Wein & Co oder Ethno-Märkte zählen übrigens nicht zum Nielsen-Universum.
Beim Thema Datenerhebung ist die Qualität ein entscheidender Faktor. Was waren die großen Meilensteine in der Vergangenheit, um diese zu verbessern?Ring: Anfang 2018 haben wir die Erhebung umgestellt auf Smartphone, wobei es auch noch Haushalte gibt, die noch die alte Vorgehensweise mit Scannern nützen. Mit der neuen Methode geht es aber einfacher und bequemer. Ein wichtiger Meilenstein war auch 2012 die Aufstockung des Panels von 2.800 auf 4.000 Haushalte.
Göttlich: Einhergehend mit dem Ausbau von Scannerkassen wurde im Jahr 2000 MarketTrack einführt – die Zusammenführung von Scannerdaten mit im Feld erhobenen Abverkaufsdaten. Ein weiterer Qualitätsfaktor ist der Wechsel von Stichprobe auf All-Shop-Daten. Das ist ein permanenter Prozess, 2018 ist es beispielsweise gelungen die Spar-Kaufleute – über 700 – sowie Adeg Wolfsberg auf All Shop umzustellen. Wesentliche Meilensteine waren auch die Kooperationen mit Müller seit 2015 im DFH sowie mit Hofer im Diskont seit 2018.
Wenn man jetzt einzelne Erhebungs-Segmente von Nielsen und GfK übereinanderlegt: Decken die sich dann oder gibt es starke Abweichungen?Ring: Es wird immer Abweichungen geben, weil es teilweise um unterschiedliche Universen geht, aber man kann nicht sagen, dass hier komplett konträre Ergebnisse vorliegen. Das GfK Haushaltspanel zieht im Gegensatz zu Nielsen einerseits alle Einkaufsquellen in Betracht, fokussiert aber andererseits den Haushaltskonsum und nicht den To-go- oder Außer-Haus-Verzehr. Auch das, was Touristen bei uns einkaufen, wird nicht vom GfK Haushaltspanel erfasst und das allein erklärt schon Unterschiede, vor allem im Westen Österreichs.
Göttlich: Prinzipiell darf man die beiden Methoden nicht miteinander vergleichen, wie schon vorhin erwähnt, haben sie einen komplett unterschiedlichen Sinn und Zweck mit Vorteilen und Limitationen und ergänzen sich.
Weil der Tourismus angesprochen wurde: Da könnte sich Nielsen ja beispielsweise alle Märkte in sogenannten Tourismuszonen ansehen und daraus Schlüsse ziehen, oder?Göttlich: Ja! Aber was wir in einem Panel darstellen dürfen, ist immer Vereinbarungssache mit dem jeweiligen Händler. Das heißt: in Österreich gibt es zum Beispiel heute noch keine shop-genauen Daten am Markt. Das ist sicher die Zukunft. Zum Beispiel in Frankreich, wo sie Märkte mit 20.000 Quadratmetern haben, da gibt es heute schon shop-genaue Daten.
Ring: Wir können die Spar-Gruppe genauso aufsplitten wie die Rewe, wir sind also shop-genau und das wird von den Kunden auch gefragt. Zum Beispiel sind Austauschbeziehungen interessant: wenn Billa in einer Kategorie gewinnt – zieht er das dann von Spar oder einem anderen Marktteilnehmer ab, oder geben die Leute insgesamt mehr aus? Man kann sich das wie die Wählerstromanalysen vorstellen, die man aus dem Fernsehen kennt.
Welche signifikanten Entwicklungen sind denn in den Warengruppen feststellbar – auch hinsichtlich Handelsmarken?Ring: Man kann sagen, dass die Handelsmarken tendenziell Treiber von Entwicklungen sind. Nicht in allen Bereichen, aber in sehr vielen. Und sie sind selbst zu Marken geworden. Was ich spannend oder sogar bedenklich finde, ist, dass in den letzten Jahren auch die Handelsmarken extreme Promotions fahren. Wir haben also den Herstellermarken-Umsatz in Promo, den Handelsmarken-Umsatz und jetzt auch noch den Handelsmarken-Umsatz in Promo – das alles knabbert ganz stark an den Kurant-Umsätzen der Hersteller-Marken.
Göttlich: Das kann ich nur bestätigen, Handelsmarken sind über die Jahre hinweg stark gewachsen und wachsen nach wie vor sowohl in den Food- als auch in den Non-Food-Kategorien. Auch die Diversifizierung ist spannend. Es gibt bei den Handelsmarken mittlerweile eine so breite Ausprägung, vom Preiseinstiegs- bis zum Premiumbereich und dazwischen in vielen Spezialbereichen. Sie alle sind professionell geführt und generieren Umsatzwachstum, es gibt aber mitunter auch eine Tendenz zur Penetranz.
Die Bereiche Bio und Regionalität werden im LEH sowohl von Handels- als auch Herstellermarken sehr stark besetzt, wo sehen Sie noch Wachstumspotenziale?Göttlich: Bio ist stark wachsend und stark von Handelsmarken getrieben, die in immer neue Kategorien vordringen. Dann gibt’s halt auch einen Bio-Pudding. Wir decken in unserem Nielsen Universum etwa 23 Milliarden Euro Umsatz ab, davon entfallen bereits rund zehn Prozent auf Bio-Produkte. Das ist keine Nische mehr. Ein weiterer stark wachsender Bereich ist Convenience und da wiederum Healthy-Food-on-the-Go, also gesunde Mittagsalternativen.
Ring: Ja, bio ist im LEH etabliert und gehört zum Standardrepertoire, das wird von den Kunden auch erwartet. Mit Regionalität tun sich selbstständige Kaufleute am Land leichter, in diesem Bereich spielt auch die Kommunikation eine große Rolle. Convenience ist natürlich ein Markt mit großem Potenzial. Es gibt aber auch immer wieder Warenkategorien, die sich neu erfinden, wie etwa teebasierte Getränke.
Göttlich: Also ich finde die vermeintlich „langweilige“ Kategorie Mehl beeindruckend. Da gibt es signifikante Zuwächse und das hängt mit dem Trend zum Selbermachen zusammen. Aber nicht nur, weil Mehl ist heute nicht mehr nur Mehl. Da gibt es mittlerweile so viele Spezialmehle, auch im DFH. Hier hat ein unglaubliches Uptrading stattgefunden.
Kommen wir zu den Vertriebskanälen im FMCG-Bereich. Wer hat neben dem LEH überhaupt noch Bedeutung?Ring: Spezialgeschäfte wie Bäcker und Fleischer sind natürlich unter Druck geraten, ich glaube aber schon, dass sich immer wieder Nischen auftun, ein Beispiel sind etwa Premium-Brotbäcker wie Joseph Brot. Aber auch im Bereich Convenience gibt es Potenzial für neue Shop-Konzepte.
Göttlich: Es gibt auch eine Tendenz, noch mehr lokal einzukaufen, und deshalb wird im urbanen Raum vemehrt auf Märkten eingekauft, seien es permanente Märkte oder Wochenmärkte.
Und welche Rolle spielt E-Commerce bei FMCG? Ring: E-Commerce wird im Lebensmittelhandel meiner Ansicht nach nie den Level erreichen, wie das im Non-Food-Bereich der Fall ist. Das liegt sicher auch an dem dichten Netz von Supermärkten. Es gab und gibt verschiedene Ansätze von den Handelsorganisationen, aber es kauft nur knapp ein Drittel der Haushalte FMCG online.
Göttlich: Bei FMCG ist der E-Commerce-Umsatzanteil zwar steigend, aber noch immer auf einem sehr geringen Niveau, etwa ein Prozent.
Ring: Laut unseren Daten sind es zwei Prozent, da sind aber auch Kaffee, Bio-Kisten, Tierfutter et cetera aus Vertriebsschienen dabei, die nicht im Nielsen-Universum enthalten sind.
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen. Wohin geht die Reise in der Marktforschung und welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?Göttlich: Dazu gebe ich Ihnen die Schlagwörter Big Data, Mobil, Cloud, vernetzt und verschränkt. Es wird in die Richtung gehen, tagesgenaue, ja stundengenaue Daten verfügbar zu haben. Aber um diese unglaublichen Datenmengen nutzbar zu machen, kommen wir ohne Artificial Intelligence nicht aus, die Analyse muss in die Automatisierung kommen.
Ring: Das kann ich bestätigen. Dann kommen über das Handy auch noch Bewegungsdaten hinzu, da wird schon viel getrackt. Was aber wichtig bleibt, ist die Beratungskomponente, die Expertise, also welcher Algorithmus hilft mir überhaupt, weiterzukommen.
Schlussendlich Marktforschung in Echtzeit? Ring: Das ist wahrscheinlich das Endziel, allerdings wenn auch der Algorithmus noch so perfekt ist, wird es die menschliche Komponente brauchen.
Göttlich: Manche Dinge, wie Out-of-stock-Situationen, lassen sich heute schon mit diversen Systemen vermeiden, aber alles muss man nicht in Echtzeit haben.
Sehen Sie den LEH, der über seine Kundenklubs ebenfalls Marktforschung betreibt und die Daten an Lieferanten weiterkaufen möchte, als Konkurrenten zur eigenen Geschäftstätigkeit?Ring: Es handelt sich um zusätzliche Informationsquellen und es gibt sicher Fragestellungen, wofür diese gut verwendet werden können aber GfK- und Nielsen-Informationen haben einen anderen Fokus, weil sie den gesamten Markt betrachten.
Göttlich: Das machen die Händler ja schon lange und es ist, wie Frau Ring sagt, eine zusätzliche Informationsquelle. Aber wir sehen das nicht als Konkurrenz. Es ist schon spannend, was in einem Teil des Marktes passiert, aber es ist nicht der Gesamtmarkt.
Meine Damen, vielen Dank für diese interessante Diskussion.Sigrid Göttlich, AC NielsenMag. Sigrid Göttlich ist seit 1998 für Nielsen tätig. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Brüssel, wo sie für die Produktentwicklung im Retail-Bereich arbeitete, kam sie zurück nach Österreich und stieg von der Bereichsleitung Retailer über die Verkaufsdirektion zum Commercial Director auf. In dieser Funktion ist sie für das gesamte Österreich-Geschäft verantwortlich. Göttlich ist auch Jury-Vorsitzende der von CASH veranstalteten Young Business Factory.
Amata Ring, GfK AustriaDr. Amata Ring ist ausgewiesene Handelsexpertin. Als Consumer Panel & Services Senior Manager beschäftigt sie sich bei GfK Austria mit dem Kaufverhalten der österreichischen Privathaushalte. Generell bedeutet das, dass sie dem Handel wertvolle Informationen über individuelle Konsumbedürfnisse liefern kann. Vor ihrer Zeit bei GfK hat Ring in Österreich und Australien an Heterogenität im Konsumentenverhalten geforscht.
„Um diese unglaublichen Datenmengen nutzbar zu machen, kommen wir ohne Artificial Intelligence nicht aus. Die Analyse muss in die Automatisierung kommen“, ist Sigrid Göttlich überzeugt.
Amata Ring sieht Handelsmarken tendenziell als Treiber von Entwicklungen im Lebensmitteleinzelhandel: „Nicht in allen Bereichen, aber in sehr vielen.“
Amikale Konfrontation auf neutralem Boden in den Räumlichkeiten von CASH und des Manstein Verlags. Max Pohl stellte die Fragen, Sigrid Göttlich (l.) und Amata Ring (r.) standen Rede und Antwort. (Fotos: Johannes Brunnbauer)