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„Händler ohne Plan verbrennen bei der Internationalisierung Unsummen“

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Felix Kühl, Head of Sales D-A-CH am Berliner Standort von ChannelAdvisor.
Felix Kühl, Head of Sales D-A-CH am Berliner Standort von ChannelAdvisor.

Gras wächst auch nicht schneller, wenn man es zieht. Von dieser Volksweisheit sollte man sich womöglich bei der Internationalisierung des eigenen Geschäfts leiten lassen. Felix Kühl, Head of Sales bei ChannelAdvisor, rät jedenfalls gerade Neulingen im Cross-Border-Commerce zu einer langsamen Gangart.

Die Exportnation Deutschland hat im E-Commerce noch Nachholbedarf. Das liegt auch an Problemen bei der Lokalisierung des Produktangebots. Wie können hier Händler Aufwand sparen?



Felix Kühl: Der Cross-Border-Trade verspricht vielen Onlinehändlern und Marken enorme Wachstumschancen. Leider gibt es aber kein Patentrezept für den Erfolg. Jedes Unternehmen muss für seine Produkte und Prozesse den eigenen, passenden Ansatz finden.



Für deutsche Retailer, die im internationalen E-Commerce mitmischen wollen, könnte der erste Schritt die Einstellung von Produktangeboten auf internationalen Online-Marktplätzen sein, und natürlich können sie Kunden im Ausland die Möglichkeit geben, über die deutsche Heimat-Website zu bestellen. Dieser Ansatz mag passiv sein, bietet aber viele Vorteile: Händler benötigen weniger Ressourcen, das Investitionsrisiko ist gering, die Produktnachfrage kann erst einmal vorsichtig getestet werden, und natürlich müssen die Händler nicht viel Content lokalisieren lassen.



Ich kann diese Technik allen, die erst einmal einen „Zeh ins Wasser“ strecken möchten, nur empfehlen. Das Motto lautet „Learning by Doing“ – Retailer können sich nach und nach an die regionalen Eigenheiten im Hinblick auf Versand, Retouren und den Service-Anspruch der Kunden gewöhnen.



Mit welchen Problemen muss man bei der Internationalisierung sonst noch rechnen?



Felix Kühl: Wie ich schon sagte, ist die Lokalisierung und Übersetzung von Produkt-Content und zum Beispiel Verkaufsrichtlinien eine große Herausforderung. Daneben gibt es aber auch weitere, die je nach Zielmarkt, Produkttyp und vielen Faktoren mehr unterschiedlich ausfallen können. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einmal die Haupthindernisse hervorheben, die jeder international expandierende Händler kennen sollte.



–       Versand und Export: Neben den Versandkosten muss ein Händler vor allem wissen, wie er den Versand nachverfolgen kann, wie lange die Lieferung der Artikel braucht und ob der Versandanbieter eine Lieferbestätigung anbietet. Den richtigen Dienstleister zu finden, braucht Zeit, die man sich unbedingt nehmen sollte.



–       Rücksendungen: Retouren können im E-Commerce fast die größte Herausforderung sein, besonders dann, wenn sie aus dem Ausland kommen. Oft empfiehlt es sich, einen lokalen Versanddienstleister zu beauftragen, der Retouren sammelt und gebündelt an den Händler zurückschickt. Wichtig ist darüber hinaus, dass Händler die Umtauschgesetze in den einzelnen Ländern kennen und befolgen.



–       Steuern: Regel Nummer Eins in internationalen Steuerangelegenheiten lautet: Vor der Expansion auf einem neuen Markt muss klar sein, wo die Steuerschwellenwerte liegen. Sollte es Unklarheiten geben, gibt es viele Steuerexperten, die in der einzelnen Situation Rat wissen. Wir bei ChannelAdvisor arbeiten zum Beispiel mit Dienstleistern wie Meridian und Accordance zusammen. Händler dürfen nicht vergessen, dass MwSt.-Sätze und -Gesetze sich je nach Land unterscheiden können – und dass mitunter fraglich ist, welche Partei für die Abführung der Steuern verantwortlich ist.



–       Zahlungen: Recherchiert werden sollte außerdem, welche Zahlungsmethoden auf den neuen Zielmärkten bevorzugt werden. Alternativen sind alle Zahlungsvarianten, die nicht über Kredit- und Debitkarten oder per Barzahlung erfolgen. Hierzu zählen beispielsweise E-Wallets und Zahlungen über Mobilgeräte. Wenn Retailer in einer neuen Region nicht auf das dort beliebteste Zahlungstool setzen, grenzen sie möglicherweise ihre eigene Zielgruppe ein.



–       Kundenservice und Preisgestaltung: Natürlich braucht es auch im E-Commerce einen herausragenden Kundenservice. Beim internationalen Handel müssen zudem Unterschiede bei Zeitzonen beachtet werden, zum Beispiel bei der Schichtplanung im Kundendienst. Und natürlich muss der Kundenservice mehrsprachig sein.



All die genannten Punkte haben Auswirkungen auf den Preis. Die Zusatzkosten müssen irgendwie aufgebracht werden. Deshalb ist es wichtig, gründlich zu prüfen, ob der kalkulierte Endpreis der Produkte auf den jeweiligen Zielmärkten überhaupt noch konkurrenzfähig ist.



Was sind klassische Fehler bei der Expansion?



Felix Kühl: Wir beobachten oft, dass Händler sich ohne klaren Plan in die internationale Expansion stürzen. Sie investieren Unsummen in eine voll funktionale Website und warten dann darauf, dass der Traffic zunimmt. Dieser Ansatz kostet mit einiger Wahrscheinlichkeit zu viel Zeit und Geld. ChannelAdvisor empfiehlt, stattdessen etwas Zeit in die strategische Planung zu stecken und die Expansion dann Schritt für Schritt anzugehen. Natürlich bleibt die 360-Grad-Präsenz im Ausland das übergeordnete Ziel.



Doch der erste Schritt ist der erwähnte, passive Ansatz. Als Nächstes folgt dann eine aktive Stufe, bei der Händler das Potenzial von ausländischen Marktplätzen mit ihren treuen Bestandskunden und internationalen Verkaufsprogrammen heben. Die Marktplätze bieten neben der bestehenden Zielgruppe vor allem den Vorteil einer gut funktionierenden Infrastruktur, über die Retailer schnell Traffic generieren können. Die Investitionen sind auch auf dieser Stufe noch relativ gering. Gleichzeitig können Händler bereits viel über die Tücken bei Versand und Retouren und im Hinblick auf Steuern und rechtliche Fragen erfahren.



Die dritte Stufe beinhaltet dann den Entwurf einer „Lite-Site“, die die grundlegenden Website-Funktionen bietet. Risikoarme Marketingmaßnahmen wie Affiliate-Marketing, Retargeting, E-Mail- und Social-Media-Kampagnen können auf dieser Stufe ebenfalls angegangen werden. Erst danach wird es Zeit, die internationale Kundschaft über eine voll funktionale Website anzusprechen.



Leider folgen viele Händler immer noch nicht diesem graduellen Ansatz, sondern investieren Geld und Zeit direkt in eine perfekte Online-Präsenz.



Lohnt sich die Internationalisierung nicht ohnehin nur für „typisch deutsche“ Artikel sowie für individuelle Artikel oder Unikate?



Felix Kühl: Die Produkte müssen nicht zwingend etwas mit Deutschland zu tun haben oder „Made in Germany“ sein. Natürlich schadet es nicht, aber in den meisten Fällen hängt der internationale Erfolg nicht vom Produkttyp ab. Letztlich kommt es immer darauf an, den bestehenden Kundenstamm zu vergrößern und die lokale Nachfrage in neuen Regionen zu erschließen.



Deshalb ist es so wichtig, als Erstes zu schauen, wie hoch die Nachfrage im Ausland ist, und die beste Methode dafür ist der Verkauf auf Online-Marktplätzen wie Amazon und eBay. Fängt man erst einmal an, die Produkte auf den beiden Websites für ein internationales Publikum anzubieten, erfährt man ziemlich schnell, wie gefragt die einzelnen Artikel sind. Das Beste an dieser Herangehensweise ist natürlich, dass Retailer mit relativ geringen Anfangsinvestitionen eine ganze Menge über die neuen Märkte und die dortige Nachfrage lernen können.



Wie können sich Händler am schnellsten im Ausland profilieren – muss es die eigene Website sein oder genügt die Nutzung internationaler oder lokaler Marktplätze?



Felix Kühl: Der erste Schritt im grenzüberschreitenden E-Commerce bestand für Retailer traditionell im Aufbau einer transaktionalen Website. Mit Online-Kampagnen, deren Erfolg kontinuierlich evaluiert werden musste, wurde dann Traffic auf die Website gelenkt. Dieser Ansatz ist für einige Händler sicherlich passend, allerdings dauert es, bis die Maßnahmen eine Rendite abwerfen, und der Aufbau ist natürlich anspruchsvoll. Wir bei ChannelAdvisor verfolgen einen neuen Ansatz, der auf allmähliche Entwicklung setzt. Retailer können damit zunächst auf die Macht der Marktplätze setzen, um ihre Verkäufe international anzukurbeln. Die Methode ist in vier Stufen unterteilt: passiv, aktiv, Lite Site und Full Site. Die Inhalte können sich im Einzelnen unterscheiden – je nach Unternehmen und Marktzielen. Bei den ersten beiden Stufen beschränken Retailer sich noch auf Marktplätze, während der Fokus bei den letzten beiden auf die eigene internationale Website und entsprechende Marketingmaßnahmen gelenkt wird. Das Vier-Schritte-Modell ermöglicht Retailern, kontinuierlich aus den Herausforderungen, mit denen sie während der einzelnen Schritte konfrontiert werden, zu lernen und die Strategie entsprechend anzupassen.



Welche Regionen wären für den Einstieg die sicherste Lösung?



Felix Kühl: Die Entscheidung, welches Land man bei der internationalen Expansion als erstes in Angriff nimmt, ist nicht leicht. Grundsätzlich sind englischsprachige Länder, also Großbritannien, die USA, Kanada, Australien und Neuseeland attraktiv. Übersetzungen sind relativ einfach zu realisieren und man hat möglicherweise schon Englisch sprechendes Personal im Kundenservice. Allerdings gibt es in jedem Land gewisse Feinheiten, die beachtet werden müssen. Andererseits kann es auch eine gute Strategie sein, nah am Heimatmarkt zu bleiben, also zum Beispiel nach Frankreich, Italien oder Spanien zu verkaufen. Dann bleiben die Kosten für Versand und Umtausch im Rahmen.



Wenn ein Händler seine Produkte zunächst auf internationalen Online-Marktplätzen testet, lassen die Statistiken aus den einzelnen Ländern schnell und detailliert erkennen, in welchen Ländern die Nachfrage am höchsten ist. Gründet man die ersten Schritte im Cross-Border-Trade auf diese Daten, fällt die Strategie je nach Händler sehr individuell aus, verheißt aber meist auch sicheres Wachstum.



Export nach China ist gerade en vogue. Wie sinnvoll ist es für Händler, den Riesenmarkt ins Auge zu fassen?



Felix Kühl: Der chinesische Markt ist in der Tat nicht nur in Mode – er bricht mit schöner Regelmäßigkeit alle Rekorde im E-Commerce. Schon bald könnte China für den Handel der größte Markt der Welt sein – im E-Commerce hat das Reich der Mitte die USA schon überholt. Deshalb empfehle ich deutschen Retailern nicht nur ausdrücklich, den E-Commerce-Markt in China zu beobachten, sondern auch möglichst bald die ersten Schritte in Richtung Fernost zu gehen. Die Zeiten, in denen Händler die Region aus Angst vor Restriktionen und Einstiegshindernissen gemieden haben, sind vorbei. In den letzten Jahren hat sich die Wahrnehmung deutlich geändert, und deutsche Retailer wollen von der chinesischen Erfolgsstory mit profitieren.



Übrigens ist es gerade in China wichtig, die Expansion auf Online-Marktplätzen zu beginnen. Immerhin generieren diese rund 90 Prozent der gesamten Verkäufe im chinesischen Onlinehandel. Handelsgiganten wie JD.com und Tmall.com, die von den Konzernen Tencent und Alibaba geführt werden, sind für den Einstieg optimal. Chinesische Verbraucher legen Wert darauf, alles zentral an einem Ort zu bekommen. Natürlich sind ihnen auch eine große Auswahl, die angebotenen Marken und transparente Preise wichtig. Deutsche Retailer profitieren auf den chinesischen Marktplätzen vom bereits vorhandenen Kundenstamm und den funktionierenden Infrastrukturen. So können sie sich um andere Prioritäten kümmern, zum Beispiel die Beschaffung, Preisgestaltung, Werbung und die Versandabwicklung. All diese Aspekte stellen für sich genommen nämlich schon echte Herausforderungen dar.



Mit welchen Veränderungen müssen Händler durch den möglichen Brexit rechnen – sollten Händler, die in Großbritannien noch nicht vertreten sind, lieber die weitere Entwicklung abwarten?



Felix Kühl: Die Zukunft für den britischen Handel ist ungewiss, allerdings wird es noch einige Zeit dauern, bis die Auswirkungen des Brexit spürbar werden. Noch gibt es genug Zeit, um auf dem britischen Markt gewinnbringend zu verkaufen. Darüber hinaus ist überhaupt noch nicht klar, welche Auswirkungen die neuen Gesetze nach dem Brexit auf europäische Händler haben werden. Wie es im Geschäftsleben ja immer so ist, sollte man das Risiko streuen und einfach in möglichst vielen Ländern verkaufen. Und zum Glück stehen deutschen Händler da weltweit Optionen offen.


Einige Kunden von ChannelAdvisor, die saisonale Produkte vertreiben, verkaufen diese mittlerweile das ganze Jahr über. Anbieter von Bademode verlagern den Fokus beispielsweise, wenn in europäischen Gefilden Winter ist, auf Australien und Neuseeland. Wachstumspotenzial gibt es aber auch in Südamerika. Dank MercadoLibre ist es zum Beispiel ganz einfach, die ersten Schritte in Ländern wie Brasilien und Mexiko zu machen. Für mich steht fest, dass die Zeit für deutsche Retailer gekommen ist, im internationalen E-Commerce Fuß zu fassen. Natürlich darf man aber nie vergessen: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut!



Über Felix Kühl



Felix Kühl ist Head of Sales D-A-CH am Berliner Standort von ChannelAdvisor. In dieser Funktion gestaltet er die weitere Expansion von ChannelAdvisor in der Region. Kühl studierte Jura in Köln und Lausanne und bringt mehr als acht Jahre Berufserfahrung in der Technologiebranche mit. Er ist in Sachen Softwarelösungen ebenso bewandert wie in Fragen der Betriebsorganisation. Die Plattform-Lösungen von ChannelAdvisor helfen Händlern und Herstellern ihren globalen Verkauf auf Hunderten Online-Kanälen wie Amazon, Google, eBay, Facebook u. a. zu integrieren, zu managen und zu optimieren. ChannelAdvisor bietet zudem Technologien zur Automatisierung, Analyse und Optimierung.



Diesen Beitrag haben wir von etailment.de übernommen.



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