CASH+: Immer mit der Ruhe
 
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Immer mit der Ruhe

Pavlofox – pixabay.com

In einem japanischen Einkaufszentrum werden derzeit sogenannte "langsame Kassen" für Senioren getestet, um auf die Bedürfnisse der älteren Kundschaft Rücksicht zu nehmen. CASH hat nachgefragt, ob ein ähnliches Konzept auch hierzulande denkbar wäre.

In einer zunehmend digitalisierten Welt muss alles schnell gehen, vor allem beim Einkaufen im Supermarkt. Bildet sich dann beispielsweise ausgerechnet in der wertvollen Mittagspause oder nach Feierabend aufgrund von "langsamen Einkäufern" eine lange Schlange vor der Kassa, ist der Unmut unter den Kunden meist groß, denn schließlich will man schnell wieder am Arbeitsplatz oder zu Hause auf der gemütlichen Couch sein. Leider handelt es sich bei diesen "langsamen Einkäufern" nicht selten um Mitglieder der sogenannte "Golden Ager", also Menschen im Alter von 50 plus. Ob umständliches Kramen nach Kleingeld, ein Plausch mit dem Kassierer oder Fragen zu Produkten, Aktionen oder der Rechnung – so können Senioren verantwortlich für die eine oder andere Stresssituation für sich selbst und andere sein. 

In einem japanischen Einkaufszentrum in der Provinz Fukuoka auf Kyushu, der südwestlichsten der japanischen Hauptinseln, hat man sich deshalb etwas ganz Besonderes ausgedacht, um langen Schlangen mit genervten Kunden entgegenzuwirken: Am zweiten und vierten Mittwoch eines jeden Monats zwischen 13 und 15 Uhr entschleunigt eine von sechs Kassen probeweise den Einkauf. Für jüngere Kunden oder solche, die es besonders eilig haben, verbleiben fünf "fast tracks". Die Mitarbeiter wurden extra angewiesen, auf die Bedürfnisse der älteren Kundschaft Rücksicht zu nehmen. Sollte es zum Beispiel beim Heraussuchen von Kleingeld etwas länger dauern, so muss sich niemand mehr gestresst fühlen. Transparente mit der Aufschrift "langsame Kassa in Anwendung" informieren alle Kunden, dass es an dieser speziellen Kassa gerade etwas ruhiger zugehen könnte. "Wenn Senioren das Gefühl bekommen, dass sich hinter ihnen Schlangen mit murrenden Kunden bilden, nur weil sie etwas mehr Zeit an der Kasse benötigen, vergeht ihnen irgendwann der Spaß am Einkaufen", erklärte der Sprecher einer japanischen Nichtregierungsorganisation, die sich für alte Menschen und Behinderte einsetzt und die Idee der "langsamen Kassen" anregte. In Japan ist übrigens bereits eine von vier Personen älter als 65 Jahre.

Mit der Lupe in den Supermarkt

Allerdings ist die Idee, das Einkaufen für die ältere Bevölkerung einfacher zu gestalten nicht neu und auch in Österreich immer wieder auf der Agenda: Bereits 2003 eröffnete Adeg in Salzburg einen Supermarkt speziell für diese Zielgruppe. Im "50-plus-Markt" gab es rutschfreie Böden, Einkaufswagerl mit Sitzgelegenheit und Lupen für das Kleingedruckte. Sogar einige Blutdruckmessgeräte standen an der Kassa bereit. An sich eine gute Idee, doch die Senioren fühlten sich anscheinend nicht angesprochen und das Konzept wurde nach der Übernahme der Adeg-Märkte durch Rewe International nicht weiter verfolgt. Warum die Konsumenten das Angebot nicht genutzt haben, ob es vielleicht zu wenig beworben wurde oder ob einfach der Bedarf zu gering war, darüber kann Pressesprecher Paul Pöttschacher nach der langen Zeit nur mutmaßen: "Den Adeg 50-plus-Markt gibt es schon länger nicht mehr und er wurde unseres Wissens nach auf Eigeninitiative eines Kaufmanns umgesetzt.  Es liegt leider schon zu lange zurück, um valide Gründe zu nennen, warum die Märkte in der Form nicht mehr bestehen."

Individuelle Anliegen der Kunden berücksichtigen

Im österreichischen LEH jedenfalls sind langsame Kassen nicht geplant – darüber sind sich alle Marktteilnehmer einig. Trotzdem stellt beispielsweise beim Diskonter Hofer die persönliche Interaktion zwischen Kunden und Mitarbeitern einen wichtigen Bestandteil vom Einkaufserlebnis dar und trägt zur Kundenbindung in den Filialen bei. Auch bei Lidl muss sich niemand gestresst fühlen: "Wir respektieren natürlich die individuellen Anliegen unserer Kunden, zum Beispiel wenn es beim Heraussuchen von Kleingeld etwas länger dauert", so Pressesprecher Christoph Buchgraber.

Die Nutzung der Selbstbedienungskassen ist für ältere Menschen laut Rewe International Pressesprecher Paul Pöttschacher kein Problem: "Langsame Kassen wie aus dem Beispiel in Japan planen wir nicht. Allerdings bemerken wir, dass auch ältere Personen gerne die Selbstbedienungskassen für den Bezahlvorgang verwenden, weil sie sich dort die Zeit nehmen können, die sie brauchen und nicht das Gefühl haben, gehetzt zu werden, wenn der nächste Kunde bereits wartet. Außerdem haben wir bei unseren 22 Billa und 81 Merkur Märkten mit Selbstbedienungskassen immer Mitarbeiter, die beim Kassenvorgang Hilfestellung leisten können."

Spar wird das Konzept einer Kassa speziell für Kunden, die es ruhiger angehen wollen wohl ebenfalls nicht aufgreifen, wie Pressesprecherin Nicole Berkmann bestätigt: "Spar sieht derzeit keinen Bedarf für spezielle langsame Kassen, da die Mitarbeitenden ohnehin auf die Bedürfnisse jedes Kunden eingehen und entsprechend schneller oder langsamer kassieren. In der Kassenmulde befinden sich immer nur die Einkäufe einer Kundschaft, somit bestimmt diese durch die Geschwindigkeit beim Einräumen auch die Geschwindigkeit beim Kassieren." Durch die Barrierefreiheit der Märkte wird speziell auf die Bedürfnisse der älteren Konsumenten Rücksicht genommen. In einigen Spar-Filialen kann beim Eingang per Knopfdruck ein Mitarbeiter gerufen werden, der beim Einkauf begleitet und unterstützt. Einige Märkte sind zusätzlich an Feinkost und Kassa mit Induktionsschleifen für Hörgeräte ausgestattet. Bei der Preisauszeichnung setzt das Unternehmen auf hohe Kontraste, um die Lesbarkeit zu erleichtern. "Die Kassa-Mitarbeitenden von Spar gehen auf die Bedürfnisse jeder Kundschaft individuell ein und passen das Kassier-Tempo entsprechend an, um das Einräumen der Waren in Taschen oder Wagerl stressfrei zu ermöglichen", so Berkmann.

Spontan, qualitätsorientiert und funktional

Dass man die als kaufkräftigste aller Altersschichten geltende Zielgruppe nicht einfach ignorieren sollte, wenn es um innovative Möglichkeiten geht, den Einkauf für ältere Personen zu vereinfachen, davon ist auch Prof. Dr. Michael Martin, Professor für marktorientierte Unternehmensführung, Medienwirtschaft und Marketingforschung an der Fachhochschule Wiesbaden, überzeugt. In seinem Artikel für die deutsche Plattform absatzwirtschaft.de bezeichnet er die Generation 50 Plus als "Harvest Agers". Ihm zufolge haben diese lange Konsumerfahrung und nutzte routinierte Wiederholungskaufmuster. "Harvest Ager sind experimentierfreudig, entscheiden sich durchaus spontan und qualitätsorientiert für einen Produktkauf, wenn der Nutzen klar und ehrlich vermittelt wird. Sie sehen den Einkauf eher unter funktionalen als erlebnisorientierten Gesichtspunkten. Ganz wichtig: Freundlichkeit im sozialen Umgang mit den Verkäufern oder Beratern sowie deren Einfühlsamkeit und Kompetenzen", schreibt Martin weiter.

Die Plauderkassa



Angesichts der steigenden Anzahl an Selbstbedienungskassen im LEH kommt es zu einer Reduktion des sozialen Umgangs mit Verkäufern oder Beratern. Um dem entgegenzuwirken steht daher in einem Supermarkt der Gemeinde Vlijmen in den Niederlanden seit rund einem Jahr die sogenannte „Plauderkassa“ zur Verfügung.

Wie der Name vermuten lässt, kann dort, wie früher beim traditionellen Greißler, mit dem Kassierer geplauscht werden. Entschleunigung ist dort die Devise. Was sich zunächst einfach nach einer netten Idee in unserer schnelllebigen Welt anhört, hat einen ernsten Hintergrund: Es geht darum, das Thema Einsamkeit zu bekämpfen, von dem vor allem alte Menschen betroffen sind. „Wir wollen, dass das Einkaufen Spaß macht und sich nicht überstürzt anfühlt. Der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig. Und deshalb haben wir die Plauderkasse eingerichtet“, sagt Dick de Fijter, Niederlassungsleiter der Jumbo-Filiale in Vlijmen in einem niederländischen Beitrag auf der Unternehmens-Website. Das neue Kassenkonzept kam so gut an, dass „Jumbo“ es nun in bis zu 40 weiteren Filialen anbieten möchte. 



 

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