Coverstory: Mutig in die neuen Zeiten
 
Coverstory

Mutig in die neuen Zeiten

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Überraschend positiv war die Stimmung während und nach dem diesjährigen LZ/LBE-Jahresauftaktskongress in München. Während sich die deutschen Handels-Referenten durchwegs mit Strategien gegen den Diskont präsentierten, überbrachte Dr. Gerhard Drexel seine ganz persönliche Spar-Botschaft.

Unter der bewährt launig-kompetenten Moderation von Werner Prill gaben Michael Schellenberger, Mitglied der Geschäftsführung des Deutschen Fachverlags, Mag. Dagmar Lang, MBA, Geschäftsführerin des Manstein Verlags, und Hans Jürgen Bönsch, Vizepräsident der LBE (Landesverband des Bayerischen Einzelhandels e.V.) und Inhaber der BÖMA Feinkost- und Delikatessen-Frischmärkte, jeweils kurze Rückblicke auf 2008 sowie einen kurzen Ausblick, was 2009 bringen wird. Übereinstimmendes Fazit: 2008 stand im Banne der Preissteigerungen, die Diskonter konnten mehr zulegen als der übrige LEH und 2009 geht der Wettbewerb auf zwei Ebenen weiter – auf der Preis- und auf der Qualitätsebene. Hans Jürgen Bönsch mit mutiger Prognose: „Die Finanzkrise betrifft den LEH nicht."

Diskonter beherrschen die Stadtlagen

Was Commerzbank Retail Analyst Dr. Jürgen Elfers so nicht gelten ließ, denn seiner Meinung nach „bevorzugt die Börse die diskontierenden Vertriebsformen und haben die Diskonter die größte Liquidität. Daher werden es auch die Diskonter sein, die am meisten investieren und expandieren". Interessant waren auch die Aspekte der anschließenden Diskussionsrunde, bestehend aus Gerd Schuh und Bernhard Dillinger von der Edeka Südbayern sowie Matthias Zwingel und Alexander Pavlovic von der Rewe Süd. Denn man konnte fast den Eindruck gewinnen, beide Handelsfraktionen haben sich gegen den Diskont verbündet, um sich eine schöne heile Welt herbeizureden. Schuh: „Sind trotz Discounter erfolgreich, vor allem mit den neuen Outlets." Zwingel: „Wir sind beide bestens aufgestellt, einmal ist die Edeka vorn, einmal wir." Pavlovic: „Es werden zwar die Discounter weiter zulegen, aber die Kurve wird flacher. Unter anderem auch deswegen, weil unser Konzept greift – die Rewe ist eine Marke. Wir sind zwar noch nicht ganz so innovativ wie in Österreich, aber der Weg geht dorthin."

Dennoch stand die Frage im Raum, was der LEH generell gegen den Vormarsch der Diskonter tun kann und ob Rewe, Edeka & Co ihre Hausaufgaben gemacht haben. Dr. Mirko Warschun von A.T. Kearney prangert unter anderem an, dass rund 70 Prozent der deutschen Innenstadtlagen bereits vom Discount besetzt sein würden und dass die Auswahl der Supermärkte oftmals viel zu groß sei, damit dränge man automatisch die Konsumenten in die Outlets der Diskonter.

Eindrucksvolle Spar-Botschaft

Spar-Präsident Dr. Gerhard Drexel zeigte den österreichischen Weg und brach eine Lanze für die Vollsortimenter. Er schilderte den Weg der Spar vom rein österreichischen Handelsunternehmen zum mitteleuropäischen Handelskonzern, sprach von der Wichtigkeit der rechtzeitigen Erschließung von Auslandsmärkten und vom neuen strategischen Geschäftsfeld großflächiger Shoppingcenter: „Da ist der Discount überhaupt keine Konkurrenz, weil wir ihn gar nicht hineinlassen."

Was nun die Rolle der Spar in Österreich betrifft, betonte Drexel, so sei man sowohl im Umsatz als auch bei den Marktanteilen Wachstumsführer, fahre man eine konsequente Dachmarkenstrategie und lege man großen Wert auf moderne Outlet-Architektur als Wettbewerbsfaktor. Drexel dazu: „Wir schaffen kultige, öffentliche Räume – zeitlos modern."

Sortimentsmäßig sieht Drexel eine Fülle von Vorteilen gegenüber den Diskontern: „Wir führen österreichisches Frischfleisch mit AMA-Gütesiegel, wir sind Österreichs größter Frischfisch-Händler und Erfinder des Frische-Marktplatzes, wir fördern regionale Identitäten und wir fahren mit NaturPur bereits seit 1995 eine einzigartige Bio-Offensive und haben bis dato sogar über 2.000 Lehrlinge als Bio-Experten ausgebildet." Seit den 50er Jahren fahre man eine überaus erfolgreiche Eigenmarken-Strategie inklusive des jüngsten Coups mit S-Budget. Drexel: „Ähnlichkeiten mit einer ähnlich klingenden Marke aus der Schweiz sind durchaus beabsichtigt."

Was ebenfalls einzigartig sei, so Drexel weiter, ist das Kult- und Star-Prinzip in Marketing und Werbung: „Für uns werben Heidi Klum, Marcia Cross, Mirjam Weichselbraun und Johanna Maier." Und: „Was natürlich schon auch zum Tragen kommt, ist, dass die österreichischen Konsumenten italienischer denken als die deutschen – sie gönnen sich mehr, kaufen also nicht nur im Preiseinstiegssegment. Die Tatsache, dass in Deutschland der Diskontanteil weitaus höher ist als in Österreich, hängt natürlich auch vom Verhalten der Markenartikler ab. Die müssen sich entscheiden – entweder oder. Da muss der Handel dahinter sein. Und das hat man in Deutschland jahrelang versäumt."

Neue Situation für die Schweiz

Wenn es um Strategien gegen den Discount geht, so ist mittlerweile auch die Schweiz mit im Boot, denn wenn im März dieses Jahres 27 weitere Lidl-Filialen zu den derzeit 90 von Aldi hinzukommen, stehen die großen Zwei – Migros und Coop (gemeinsamer Marktanteil: 73,2 %) – unter Zugzwang. Ernst-Dieter Berninghaus, Leiter Department Handel im Migros-Genossenschafts-Bund, über die Gegenstrategien: „Wir werden drei bis fünf Milliarden Schweizer Franken in den Schweizer Markt investieren, vor allem in unser einzigartiges Wertschöpfungsnetzwerk, in die Kommunikation sowie in Kultur und Gesellschaft." Die Problematik von Migros: Zum einen werden sie mit Ende 2009 die Denner-Filialen zu 100 Prozent übernommen haben und müssen somit auch wie ein Diskonter ticken, und zum anderen hat die Migros fast ausschließlich Eigenmarken, ist aber gleichzeitig beliebter Produzent für andere Handelsketten wie z.B. Spar, Lidl (!) und Kaufland. Berninghaus: „Wir sind damit eine kleine, aber feine Alternative zu den Markenartiklern."

Günter Fergen, Generalbevollmächtigter der Unternehmensgruppe Schwarz und somit im Lidl-Aufsichtsrat sitzend, ist sich der Hecht-Rolle bewusst, die sein Unternehmen damit im Schweizer Handels-Karpfenteich spielt: „Wir orten auch bereits die ersten Auswirkungen – sowohl Migros als auch Coop haben massiv ihre Preise gesenkt." Und er kündigt gleichzeitig einen weiteren Schritt an: „Diskonter der jüngsten Generation gehen voll auf die Großfläche, mit neuen Sortimenten und einer weitgreifenden Frische-Offensive."

Beispiel aus den USA

James Richard Amoroso, in der Schweiz lebender Consultant & Analyst aus England, bringt sein Heimatland ins Spiel und umreißt die Besonderheiten der Discounter in Großbritannien: „Discounter in Großbritannien sind beileibe nicht die billigsten Handelskanäle, sie stürzen sich zusehends auf A-Brands und erweitern sukzessive ihre Sortimente." Auffallend dabei, aber das dürfte sich nicht nur auf die britischen Diskonter beziehen, dass einige Produktgruppen in Krisenzeiten besonders gut gehen: TK-Pizzas, Suppen generell, TK-Fertiggerichte und Bier.

Konkrete Tipps für die deutschen Supermärkte von morgen kamen von Koen Hazewinkel, Gründer & CEO des niederländischen Retailers Store Europe, anhand einiger internationaler Beispiele. Generell basieren sämtliche Zukunftsbetrachtungen auf veränderten Ess- und somit Konsumgewohnheiten unserer Gesellschaft. Hazewinkel: „Convenience ist gefragt, Gesundheit wird immer wichtiger, Produkte mit Mehrwert punkten, Natürlichkeit ist genauso ein Thema wie Authentizität und Regionalität." Und mit einem konkreten Beispiel aus den USA: „Whole Foods ist die schnellstwachsende und profitabelste Supermarktkette Amerikas. Ihr Geheimnis: Celebration to food – jedes Produkt hat bei Whole Foods Geschichte. Da kommt Storytelling ins Spiel und wird großer Wert auf Ultrafrische gelegt." Detail am Rande: Whole Foods hat vor Kurzem den ersten Markt in Europa eröffnet – einen 7.500 Quadratmeter großen Store in London. Hazewinkels Tipp an die Supermarktbetreiber: „Setzen sie auf Ultrafrische quer durch sämtliche Produktgruppen, erweitern sie Ihr Convenience-Portfolio und ersetzen sie A-Brands durch hochqualitative Eigenmarken!" Sein Credo für die Supermärkte von morgen: „Der Supermarkt muss Eckpfeiler der Esskultur werden!"

Finanzkrise ist Führungskrise

Ebenfalls Erfolgsstrategien, allerdings der etwas anderen Art, hat Prof. Dr. Utho Creusen, früherer Geschäftsführer von Media-Saturn und nunmehr Motivationstrainer und Personal Coach, auf Lager. Er geht davon aus, „dass die Finanzkrise eine Führungskrise ist und dass Mitarbeiter, die motiviert sind, automatisch mit Mehrleistung reagieren". Für ihn ist es also sonnenklar, dass sämtliche Konzepte gegen die Krise den Menschen im Mittelpunkt haben müssen. Creusen: „Und natürlich eine Führungsmannschaft, die motivieren kann. Es ist erschreckend, aber wir wissen, dass 60 Prozent der Mitarbeiter ihren Job machen, allerdings ohne Freude und Engagement. 28 Prozent fühlen sich in keiner Weise ans Unternehmen gebunden, nur 12 Prozent sind engagiert und somit auch in Krisenzeiten die Leistungsträger. Motivation hat also direkte Auswirkungen auf Fehltage, Kreativität und Produktivität. Als optimales Motivationsmittel hat sich eine Erfolgsbeteiligung am Unternehmen erwiesen. Das schafft nicht nur automatisch mehr Spaß an der Arbeit, sondern auch Vertrauen, das Um und Auf für Strategieänderungen und Reorganisationen. Ganz wichtig dabei: In Krisenzeiten nicht alles zur Chefsache machen!"

Spar-Präsident Dr. Gerhard Drexel: „Der österreichische Konsument denkt italienischer als der deutsche – er gönnt sich mehr.“
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Spar-Präsident Dr. Gerhard Drexel: „Der österreichische Konsument denkt italienischer als der deutsche – er gönnt sich mehr.“


Trotz Diskontgegenwind voll auf Wachstum eingestellt: die deutsche Händlerrunde mit Gerd Schuh und Bernhard Dillinger von der Edeka Südbayern sowie Matthias Zwingel und Alexander Pavlovic von der Rewe Süd (v. l.)
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Trotz Diskontgegenwind voll auf Wachstum eingestellt: die deutsche Händlerrunde mit Gerd Schuh und Bernhard Dillinger von der Edeka Südbayern sowie Matthias Zwingel und Alexander Pavlovic von der Rewe Süd (v. l.)
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