v.l.n.r.: Friedrich Hoppichler, Vorstand der Inneren Abteilung und Ärztlicher Direktor der Barmherzigen Brüder Salzburg sowie Vorstand von SIPCAN, Josef Braunshofer, Geschäftsführer Berglandmilch eGen und Markus Kaser, Spar-Vorstand für Marketing, Einkauf, CSR und IT warnen vor den Mängeln des Nutri-Scores.
Spar, Berglandmilch und SIPCAN sprechen sich gemeinsam gegen den Nutri-Score aus, zeigen Mängel auf und legen in einer Studie dar, dass er 74 Prozent der befragten Konsumenten noch nicht aufgefallen ist oder sie nicht wissen, was dieser bedeutet.
"Wir sind nicht prinzipiell dagegen", sagt Spar-Vorstand Markus Kaser eingangs einer gemeinsam mit Berglandmilch und SIPCAN einberufenen Pressekonferenz zum Thema Nährwertkennzeichnung und Nutri-Score. "Aber es sollte die richtige Interpretation, die richtige Skala sein, sonst wird das ein Schuss in den Ofen." Mit der Zusammenkunft will man eine Diskussion ins Rollen bringen, denn die Europäische Kommission möchte mit Ende 2022 einen Vorschlag eines verpflichtenden Nährwertkennzeichnungssystems vorlegen, den Österreich unterstützt, wie es aus dem Gesundheitsministerium heißt. Kaser betont allerdings, dass man den Nutri-Score als mangelhaftes System sehe, das die Konsumentinnen und Konsumenten vielmehr in die Irre führe, als dass es sie bei einer gesunden Ernährung unterstütze. "Wir brauchen daher dringend eine Überarbeitung des Nutri-Scores, einen ergebnisoffenen Diskurs und vielleicht sogar ein gänzlich neues Kennzeichnungssystem."
Ampeln sind im Straßenverkehr notwendig - bei Lebensmitteln ist das System zu kurz gegriffen
Was das Problem beim Nutri-Score ist, führt Friedrich Hoppichler, Vorstand der Inneren Abteilung und Ärztlicher Direktor der Barmherzigen Brüder Salzburg sowie von SIPCAN, aus. Das fängt bei den Portionsgrößen an, die sich immer auf 100 Gramm oder Milliliter beziehen, anstatt auf Portionsgrößen. So erreicht die kleine Menge Pizza eine bessere Bewertung als Olivenöl, von dem man nie 100 Milliliter auf einmal konsumieren würde. Außerdem werde der Zuckergehalt zu wenig berücksichtigt, Süßstoffe, Farb- und Konservierungsstoffe dagegen überhaupt nicht. "Die Ausklammerung von Süßstoffen sehe ich besonders kritisch, da der Nutri-Score quasi dazu auffordert, statt Zucker Süßstoffe zu verwenden, um eine bessere Bewertung zu erhalten", sagt Hoppichler. Was viele auch nicht wissen, argumentiert er, ist, dass der Nutri-Score nur über den Wert eines Produktes im Vergleich zu anderen Produkten in derselben Lebensmittelkategorie informieren, nicht aber kategorieübergreifend, deshalb sage der Nutri-Score nichts darüber aus, ob ein Produkt gesund oder ungesund ist. Der Nutri-Score sei zwar leicht verständlich, aber schon geringe Produktadaptierungen können das Ranking beeinflussen, weshalb auch viel getrickst wird. Oder wie Josef Braunshofer, Generaldirektor der Berglandmilch, ausdrückt: Ampeln sind notwendig im Straßenverkehr, bei Corona kann man schon geteilter Meinung sein, bei Lebensmitteln ist es aber zu kurz gegriffen.
Überhaupt äußert Österreichs größte Molkerei massive Bedenken an dem Nährwertprofil. "Der Nutri-Score mag für hochverarbeitete Lebensmittel seine Berechtigung haben. Milchprodukte sind überwiegend Grundnahrungsmittel und hier erachten wir die Nutri-Score Beurteilung als zu einseitig. Viele Aspekte einer umfassenden Lebensmittelqualität, wie zum Beispiel biologische Produktion, werden dabei völlig ausgeblendet. Zudem werden die Produkte nicht nach Portionsgrößen, sondern pro 100 Gramm berechnet, wodurch ein natürliches Produkt wie die Butter eine schlechte Bewertung erhält. Ein System, das davon ausgeht, dass ein Mensch 100g Butter auf einmal isst, sollte aus unserer Sicht nochmals überdacht werden", sagt auch er.
Der "Nutri-Score" wurde 2017 von der französischen Gesundheitsbehörde auf Basis des Nährwertprofils der britischen Food Standards Agency entwickelt. Er liefert eine Gesamtbewertung eines verarbeiteten Produkts, die auf einer Skala von A (dunkelgrün) bis E (rot) auf der Vorderseite des Produkts dargestellt wird. Die Gesamtpunkteanzahl ergibt sich aus der Subtraktion der Summe der guten Punkte (für Proteine, Ballaststoffe, Obst, Gemüse, Nüsse, etc.) von der Summe der schlechten Punkte (für Energie, Zucker, ungesättigte Fettsäuren, Salz). Berechnet wird immer auf 100 Gramm bzw. 100 Milliliter.
Österreicher kennen Nutri-Score nicht
Die Argumentation wird darüber hinaus mit einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Marketagent unterstrichen, die Ende Februar mit 500 Menschen durchgeführt wurde. Dieser nach achten nur 11 Prozent beim Einkauf den Nutri-Score, 33 Prozent kennen ihn nicht einmal, während 74 Prozent den Nutri-Score noch nicht wahrgenommen haben oder nicht wissen, was dieser aussagt. Nur 26 Prozent ist er bereits aufgefallen und gaben am zu wissen, was er aussagt - dennoch gab es auch hier bei näherem Nachfragen Überraschungen. So wusste nur etwas über die Hälfte, dass der Nutri-Score nichts darüber aussagt, wie viel man von dem jeweiligen Lebensmittel essen sollte und nur 39 Prozent wussten, dass er nicht zwischen biologischen und nicht-biologischen Lebensmitteln unterscheidet. Noch weniger sind es, wenn es darum geht, dass der Nutri-Score nicht auf Alkohol, Tee, Gewürze und Kaugummi angewendet wird. "Das bedeutet, dass hier intensiv und umfassend informiert werden müsste, um die Menschen nicht in die Irre zu führen."
Alternativvorschlag Food Compass
"Wir Österreicher haben eine Vorreiterrolle bei der Gentechnikfreiheit von Lebensmitteln, haben Pionierarbeit bei den biologischen Produkten geleistet und sind weit über unsere Grenzen bekannt für unsere qualitätsvollen Lebensmittel. Wir haben große Erfahrung, wenn es um die Qualität von Lebensmitteln geht und wir sagen daher ganz deutlich, dass wir kein Kennzeichnungssystem übernehmen wollen, das nur einen Bruchteil aller Aspekte der Lebensmittelqualität berücksichtigt", stellt Markus Kaser klar. Deshalb tritt man für eine Überarbeitung des Nutri-Scores beziehungsweise ein alternatives System ein. Als besser erachtet man hier den Food Compass Score, kurz FCS. Dieser umfasst 54 Gesundheitskriterien aus neun Bereichen und bewertet diese nicht anhand einer Farbskala, sondern numerisch von eins (schlecht) bis 100 (gut). Darüber hinaus betrachtet es die Produkte kategorieübergreifend und berücksichtigt den Verarbeitungsgrad. Über die Nachhaltigkeit sagt aber auch dieses System nichts aus. "Vielleicht ist dieses Kennzeichnungssystem auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es zeigt, dass es möglich ist, mit einem Algorithmus deutlich treffsicherer zu sein und deutlich mehr relevante Aspekte miteinzubeziehen."
Der Appell ist deshalb klar:
- Die Politik soll alle relevanten Stakeholder, insbesondere (Ernährungs-)Wissenschaftler und Ernährungsmediziner einbinden
- Es braucht eine ergebnisoffene Diskussion
- Transparenz bei den Rezepturen gegenüber Österreichischer Behörden
- Prüfung alternativer Kennzeichnungssysteme
Dagegen, dass große Konzerne den Nutri-Score bereits eingeführt haben und leben, könne man sich nicht wehren, betont Kaser, jeder könne das auf seine Verpackungen drucken, was er will. Er gehe auch davon aus, dass es eine gewisse Zeit parallele Systeme geben wird, ist aber zuversichtlich, dass sich die guten durchsetzen werden. Man wolle ein alternatives System aber ganz eindeutig nicht nur für die eigenen Marken einführen.