Timm Duffner ist Mitgründer des Social Business Heyho, eine Müslirösterei, die nicht nur nachhaltig agiert, sondern auch Menschen beschäftigt, die am Arbeitsmarkt keine Chance mehr hätten. Im Interview erzählt er von Beweggründen, Vorbildern und der Wichtigkeit von sozialem Unternehmertum.
"Geben Sie mir noch eine Sekunde, ich trinke noch schnell einen Schluck Kaffee", sagte Timm Duffner. Es ist kurz nach 9 Uhr und zumindest bei mir noch nicht ganz hell, als der Heyho-Gründer für unser CASH-Interview den Hörer abnahm. Die Produktion der sozialen Müslirösterei läuft auf Hochtouren, die Nachfrage ist gut und es gibt viel zu tun. Erst vor kurzem hat das deutsche Unternehmen seine Produkte in Österreich listen können. Zu erzählen gibt es einiges. "Kein Problem. Sagen Sie mir, wenn Sie bequem sitzen und bereit sind", antworte ich. "Dann geht's los."
CASH: Heyho ist nicht nur eine Müslirösterei, deren nachhaltige Produkte zu 100 Prozent Bio sind, sondern auch ein soziales Unternehmen, das unter anderem Menschen beschäftigt, die am Arbeitsmarkt kaum eine Chance hätten – Langezeitarbeitslose, Menschen, die im Gefängnis waren... Dazu die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Was war zuerst da: Die Idee, ein Müsliunternehmen zu gründen oder der Wunsch, sozial aktiv zu werden?Timm Duffner: Grundsätzlich war bei mir schon immer eine Leidenschaft für gute Lebensmittel gegeben. Und ich hatte den Wunsch, ein Unternehmen in diesem Bereich zu gründen. Um aber den Schritt zu wagen und die Bequemlichkeit eines gut bezahlten Jobs aufzugeben, brauchte es einen besseren Grund. Uns drei Gründer einte das Bedürfnis, einen Alternativentwurf zum herkömmlichen Wirtschaften zu entwickeln und zu zeigen, dass Unternehmen, die konsequent ökologisch und sozial denken, nachhaltig erfolgreich sein können. Wir wollten weg von der Ellenbogenmentalität, hin zu einem produktiven Füreinander. Das gibt uns die Energie, sieben Tage die Woche selbst und ständig für diese Idee zu arbeiten.
Sozial und gleichzeitig ökonomisch, wie geht das zusammen? Sozial klingt immer gleich so anders. Was wir tun, ist, den Menschen als Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Er kann sich entfalten und muss seine Persönlichkeit nicht an der Tür abgeben. Basierend auf Kompetenz und Leidenschaft versuchen wir alle MitarbeiterInnen in den Prozess optimal zu integrieren. Wir glauben, dass wir, wenn wir alles richtigmachen, ein viel produktiveres Kollektiv schaffen können, als es in üblichen Firmen der Fall ist. Zugegeben, auch ich hatte anfangs Vorurteile auf Basis der Biografien unserer Mitarbeiter, aber ich habe mich bei fast allen Dingen getäuscht und habe an mir selbst erkannt, wie befreiend es sein kann, sich mit seinen eigenen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Als Team halten wir zusammen und sind ein unglaublich agiles funktionierendes Kollektiv. Und wenn einmal jemand ein bisschen weniger leisten kann, dann springen die anderen ein und tragen das mit. Das ist das, was wir versuchen zu entwickeln. Dabei sind wir erst am Anfang einer langen Reise, aber es ist für uns alle sehr bereichernd, diese einzigartige Haferbande zu bauen und zu leben.
„Wir wollten weg von der Ellenbogenmentalität, hin zu einem produktiven Füreinander.“
Timm Duffner
Wie ist das Konzept eines sozialen Müslis bei Kunden und Partnern angekommen?Was grundsätzlich immer als erstes verfängt, verfangen muss, sind die Produkte und da war die Resonanz von Anfang an total positiv. Die besondere Glasverpackung, das positive Design, all das bewegt Menschen unsere Produkte auszuprobieren oder gleich als Geschenk zu kaufen. Die soziale Idee dahinter wird erst im zweiten Moment wahrgenommen. Aber wir glauben, dass genau darin die Magie liegt, durch die dann sehr langfristige Kundinnenbeziehungen erwachsen. Die Produkte müssen für sich sprechen, sie müssen die Menschen begeistern und so zum Kauf bringen, nicht um ihr Gewissen zu erleichtern. Sie müssen das Produkt haben wollen, weil es toll ausschaut und toll schmeckt. Durch unsere handwerkliche Qualität haben wir ein ganz eigenes Geschmackserlebnis kreiert und haben auch einige Anfragen von großen Herstellern bekommen, ob wir für sie produzieren können, weil so ein Produkt am Markt noch nicht verfügbar war.
Das Interesse für das Produkt als solches ist auch für die Zusammenarbeit mit den Handelspartnern wichtig. Ob wir dann zusammenkommen oder nicht hängt davon ab, ob sie auch bereit sind, das Konzept, das dahinter steht, mitzutragen. Wir sind angewiesen auf Partner, die an die Idee des ‚anderen‘ Wirtschaftens glauben, ihm Raum geben – nicht nur im Regal, sondern auch für Sonderaufbauten – und mit uns die Marke entwickeln wollen. Es ist kein Selbstläufer. Aber wir haben gesehen, wenn man sich die Zeit genommen hat, sind Partnerschaften unglaublich stark gewachsen. In Österreich haben wir zurzeit eine Partnerschaft mit dm.
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Heyho!
Soziales Müsli
Die Biomüslimarke Heyho! aus Lüneburg ist nun auch in Österreich erhältlich. Das Unternehmen will mit seinen Produkten nicht nur die Kunden bereichern, sondern gibt auch lange ausgegrenzten Menschen eine Chance.
Sie waren vorher bei Ben & Jerry’s tätig – und nicht nur als Brand Manager, Sie waren auch für die Social Mission zuständig. Warum ist Ihnen persönlich dieses soziale Engagement so wichtig?Ich habe das nicht in die Wiege gelegt bekommen und bin in keinem aktivistischem Umfeld aufgewachsen. Aber ich denke, keiner kann heute mehr guten Gewissens die gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten ausblenden. Aufgrund meiner beruflichen Erfahrungen und meiner Leidenschaft für gutes Essen versuche ich nun so meinen Beitrag zu leisten, die ökologischen und sozialen Herausforderungen mit unternehmerischen Mitteln zu lösen. Nur wenn wir aufeinander zugehen und miteinander reden, kommen wir zu Lösungen, die niemanden vergessen. Der Reichtum, den wir in der Firma aufgrund unserer unterschiedlichen Prägungen, Erfahrungen, Herkünfte haben, ist unbeschreiblich.
Ich hatte das Glück, vor 10 Jahren die Geschäftsleitung der Marke Ben & Jerrys im deutschsprachigen Raum zu übernehmen und konnte da viel lernen und sehen, was mich inspiriert hat. Vielleicht auch manche Dinge, die ich noch besser machen und weitertreiben wollte. Ich habe mich auf eine positive Art „radikalisiert“ und den tiefen Glauben gewonnen, dass soziales Unternehmertum langfristig sowohl unternehmerisch als auch gesellschaftlich die bessere Richtung ist.
Das heißt, Ben & Jerry’s hat auch eine Vorbildfunktion für Heyho?Ben & Jerry’s ist mit Sicherheit auf verschiedenen Ebenen eine Inspiration. Und man kann nicht ganz die Anlehnung an die Markenbildung verleugnen; da habe ich schon vieles mitbekommen, was auch bei Heyhoeingeführt und umgesetzt wurde. Das fängt bei dem Verständnis dafür an, dass hochwertige Lebensmittel auch im Premiumbereich auf ganz vielen Ebenen einen Mehrwert liefern müssen. Von herausragenden Zutaten bis hin zu einem gesellschaftlichen Engagement. Im Umfeld von Ben & Jerrys sind Lieferanten wie die Greyston Bakery so etwas wie eine Blaupause für Heyho. Gegründet wurde die Bäckerei von einem Zen-Buddhisten, der vor 30 Jahren in New York eine Bäckerei aufgebaut hat, die die Brownies für Ben & Jerry’s macht. Dort liegt eine Liste am Eingang aus, in die man sich eintragen kann, wenn man einen Job sucht. Und wenn ein Job in der Produktion frei wird, rückt immer der nächste auf der Liste nach – ohne Fragen zu stellen. Diese Offenheit Menschen gegenüber, Menschen aufgrund ihrer Vergangenheit nicht zu bewerten, das hat uns im Kern inspiriert und motiviert, Heyho so zu starten.
„Wenn ich für den Menschen denke, muss ich auch konsequent klimafreundlich handeln. “
Timm Duffner
Funktioniert die Personalsuche bei Heyho ähnlich?Wir träumen davon, dass wir so ein ‚open hiring system‘ auch bei uns und in ganz Deutschland etablieren können. Da wir aber sehr schnell starten wollten, sind wir am Anfang direkt auf die Leute aus dem ehemaligen Arbeitsumfeld unseres Mitgründers Stefan, der 15 Jahre lang eine Einrichtung für wohnungslose Menschen geleitet hat, zugegangen. Dabei haben wir uns Personen ausgesucht, bei denen wir eine Chance gesehen haben, die aber vom gesamten Umfeld als chancenlos abgestempelt wurden. Die haben sehr, sehr bewegte Biografien und niemand hätte mehr vorausgesehen, dass sie noch einmal ein arbeitender Teil dieser Gesellschaft werden und sich somit wieder selbst versorgen können mit ihrem Einkommen und ein geregeltes Leben aufbauen können, wie es für uns alle so selbstverständlich ist. Wir sind also mit Extremfällen gestartet, um zu beweisen, dass es funktioniert. Mittlerweile bekommen wir sehr viele Anfragen – leider so viele, dass wir regelmäßig erstmal absagen müssen. Auch überregionale Anfragen sind dabei. Wir haben uns allerdings dafür entschieden, dass wir zu diesem Zeitpunkt die Arbeiter nicht aus ihrem sozialem Umfeld reißen wollen.
Sehen Sie sich als Vorbild für andere Unternehmen?Wir denken nicht darüber nach, ob wir Vorbilder sind. Aber wir werden angetrieben von der Idee, Heyho replizierbar zu machen und dass es so häufig wie möglich kopiert wird. Wenn ich in 20 Jahren zurückschaue, dann hoffe ich, dass ich unzählige Geschichten erzählen kann, wer alles den gleichen Weg gegangen ist. In diesem Sinne sehen wir uns als Vorbilder und hoffen, dass wir andere Firmen mit unserem Konzept inspirieren können, in anderen Städten und Ländern eine ähnliche Unternehmens- und Personalphilosophie zu leben, wie wir es tun.
Heyho-Team
Wie kann ein Sozialunternehmen die Gesellschaft positiv verändern? Ist das ein Zukunftsmodell?Wir werden wahnsinnig oft mit Unternehmen in einen Topf geworfen, die sagen, wir machen das gleiche wie bisher, nur spenden wir jetzt Geld um z.B. Bäume zu pflanzen – die werden dann als Sozialunternehmen betitelt und das sehe ich ein wenig kritisch. Zuerst sollten sich Unternehmerinnen mit der eigenen Wertschöpfung kritisch auseinandersetzen und dort bessere soziale und ökologische Alternativen suchen und schaffen. Wenn dann Profite eingesetzt werden, um noch mehr Gutes zu tun, dann ist das großartig. Sozialunternehmen lösen gesellschaftliche Probleme auf unterschiedlichste Art und mit unterschiedlichen Ansätzen. Für uns gilt, dass wir einen direkten Einfluss auf die Menschen haben, die ein Teil von Heyho sind. Ich glaube, dass eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung nur dann einen nachhaltigen Effekt hat, wenn sie in der Breite von vielen getragen wird und ich hoffe, dass wir hiermit den einen oder anderen inspirieren können, einen ähnlichen Weg zu gehen - nämlich jemandem eine unerwartete Chance zu geben, der oder die eigentlich nicht ins Raster passt. Deshalb ja, ich glaube, dass es in Bezug auf die Herausforderungen, die wir gesellschaftlich und ökologisch auf dieser Welt haben, mittelfristig überhaupt keine Alternative gibt. Ich glaube auch, es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass Unternehmen sozialer werden und gleichermaßen sozial, ökologisch und ökonomisch handeln.
Heißt das, man muss sowohl sozial als auch nachhaltig sein? In meinem Verständnis der Begriffe sind die Dinge untrennbar miteinander verwoben. Wenn ich für den Menschen denke, muss ich auch konsequent klimafreundlich handeln. Viele Unternehmen suchen sich einen singulären Sinn, auf den sieh all ihre Ressourcen fokussieren. Das nennt man oft ‚Purpose Marketing‘. Für uns stellt sich nicht die Frage nach dem Purpose. Wir verstehen uns als wertegetriebenes Unternehmen. Und ich glaube, dass sich hier in den nächsten Jahren auch einiges ändern wird. Ich glaube, dass Konsumenten einen einzelnen Purpose nicht mehr akzeptieren werden und ganzheitlich auf Unternehmen schauen werden und es hinterfragen. Man muss schauen, dass man soziales, ökologisches und ökonomisches unter einen Hut bringt, wenn man Wirtschaft für den Menschen und die Umwelt denkt. Glaubwürdigkeit geht nur Hand in Hand – und ein Purpose als Marketingzweck macht kein Unternehmen und keine Marke glaubwürdiger.
Herr Duffner, vielen Dank für das Gespräch.